Reichelsheim (Odenwald) (odenwälderisch Reigels) ist eine Gemeinde im südhessischen Odenwaldkreis.
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Reichelsheim liegt im mittleren Odenwald in 200 bis 538 Meter Höhe inmitten des Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald. Es grenzt im Norden an die Gemeinden Fränkisch-Crumbach, Brensbach und Brombachtal, im Osten an die Stadt Michelstadt und die Gemeinde Mossautal (alle im Odenwaldkreis), im Süden an die Gemeinde Fürth und im Westen an die Stadt Lindenfels (beide Kreis Bergstraße).
Zur Gemeinde gehören neben dem Ort Reichelsheim die dreizehn Ortsteile Beerfurth (bestehend aus Kirch-Beerfurth und Pfaffen-Beerfurth), Bockenrod, Eberbach, Erzbach, Frohnhofen, Gersprenz, Gumpen (bestehend aus Groß-Gumpen und Ober-Klein-Gumpen), Klein-Gumpen, Laudenau, Ober-Kainsbach (mit den Weilern Hutzwiese, Spreng, Vierstöck und Wünschbach), Ober-Ostern, Rohrbach und Unter-Ostern.
Reichelsheim ist nach Heidenrod und Oberzent die hessische Gemeinde mit der zweitgrößten Zahl von Ortsteilen.
Die älteste erhaltene Erwähnung des Ortes als Richelsheim stammt von 1303.[2] Am 1. Januar 1975 wurde der Name der Gemeinde amtlich von Reichelsheim i. Odw. in Reichelsheim (Odenwald) geändert.[3]
Reichelsheim gehörte zum Amt Reichenberg der Grafschaft Erbach, die mit der Mediatisierung 1806 Teil des Großherzogtums Hessen wurde. Ab 1822 gehörte Reichelsheim zum Landratsbezirk Erbach, ab 1852 zum Kreis Lindenfels, ab 1874 zum Kreis Erbach (ab 1939: „Landkreis Erbach“), der – mit leichten Grenzberichtigungen – seit 1972 Odenwaldkreis heißt.
Nach Auflösung des Amtes Erbach 1822 nahm die erstinstanzliche Rechtsprechung für Reichelsheim zunächst das Landgericht Michelstadt wahr, ab 1853 das Landgericht Fürth, ab 1879 das Amtsgericht Fürth. Zum 1. April 1904 erhielt Reichelsheim ein eigenes Amtsgericht. Dessen Dienstgebäude in der Bismarckstraße dient seit 1973 als Rathaus von Reichelsheim.[4] Das Amtsgericht Reichelsheim wurde zum 1. Juli 1968 aufgelöst, dessen Gerichtsbezirk dem Amtsgericht Michelstadt zugeteilt.
Im Zuge der Gebietsreform in Hessen erfolgen auf freiwilliger Basis eine Reihe von Eingemeindungen. Am 1. Februar 1971 wurden die bis dahin selbständigen Gemeinden Eberbach, Frohnhofen und Unter-Ostern eingegliedert.[5] Am 1. Juli 1971 kam Laudenau, das bis dahin zum Landkreis Bergstraße gehörte, hinzu.[6] Erzbach, Gumpen (am 1. Januar 1968 durch den Zusammenschluss von Ober-Gumpen und Ober-Klein-Gumpen entstanden), Klein-Gumpen, Ober-Ostern und Rohrbach folgten am 31. Dezember 1971. Mit der kraft Landesgesetz erfolgen Eingliederung von Beerfurth, das am 1. Dezember 1970 durch den Zusammenschluss der Vorläufergemeinden Kirch-Beerfurth und Pfaffen-Beerfurth entstanden war und am 1. Februar 1971 Bockenrod und Gersprenz aufnahm, sowie Ober-Kainsbach wurde die Reihe der Eingemeindungen am 1. August 1972 abgeschlossen.[7][3] Für alle nach Reichelsheim eingegliederten ehemaligen Gemeinden wurden Ortsbezirke mit Ortsbeirat und Ortsvorsteher nach der Hessischen Gemeindeordnung gebildet.[8]
Im April 1744 wurde die erste Poststation in Reichelsheim eröffnet und der Zentgraf Georg Sebastian Willenbücher zum Kaiserlichen Posthalter bestellt. Mit Bestallungsurkunde von Thurn und Taxis vom 8. Dezember 1843 wurde der Ortseinnehmer Friedrich Volk zum Posthalter ernannt und am 1. Januar 1844 eine Brief- und Fahrpostexpedition in der Heidelberger Straße errichtet. Ab 1. Januar 1852 gab es in Reichelsheim erste Postwertzeichen (Briefmarken) von Thurn und Taxis mit der Währung Kreuzer und Gulden. Seit 1852 gab es eine regelmäßige Postkutsche, den Reichelsheim-Darmstädter Eilwagen.
Am 27. November 1872 wurde der Spar- und Creditverein als eingetragene Genossenschaft gegründet und am 5. Januar 1873 in das Genossenschaftsregister beim Amtsgericht Fürth (Odenwald) eingetragen. Durch Namensänderungen und Fusionen ist die Volksbank in Reichelsheim heute eine Geschäftsstelle der Volksbank Odenwald in Michelstadt. In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die erste Agentur der Spar- und Leihkasse Erbach (Sparkasse) in Reichelsheim eröffnet.
Im Jahr 1880 war in Reichelsheim ein Telegraphenapparat im Postamt vorhanden, über den 257 Telegramme aufgegeben und 333 Telegramme empfangen wurden (Erbacher Kreisblatt Nr. 10 vom 2. Februar 1881). Ab 13. November 1899 war Reichelsheim an das Telefonnetz mit einer öffentlichen Fernsprechstelle angeschlossen (Erbacher Kreisblatt Nr. 135 vom 18. November 1899).
Reichelsheim war vom 10. Oktober 1887 bis August 1964 der Endpunkt der Gersprenztalbahn aus Reinheim. Ab 1893 wurde in Reichelsheim eine zentrale Trinkwasserversorgung geschaffen. Am 4. Juli 1927 wurde das erste Schwimmbad eingeweiht.
Im Jahr 1903 errichtete Helene Göttmann am Flutgraben ein Kohlekraftwerk zur elektrischen Beleuchtung ihrer Heilanstalt. Ab 1910 hatte Reichelsheim eine elektrische Straßenbeleuchtung.
Dem Ort wurde 1986 das Prädikat staatlich anerkannter Luftkurort verliehen. Dieses wurde jedoch 2011 wieder aberkannt.[9]
Die folgende Liste zeigt die Staaten und deren nachgeordnete Verwaltungseinheiten, denen Reichelsheim angehörte:[2][10][11]
Nach den Erhebungen des Zensus 2011 lebten am Stichtag dem 9. Mai 2011 in Reichelsheim 8589 Einwohner. Darunter waren 638 (7,4 %) Ausländer, von denen 285 aus dem EU-Ausland, 315 aus anderen Europäischen Ländern und 38 aus anderen Staaten kamen.[12] (Bis zum Jahr 2020 erhöhte sich die Ausländerquote auf 11,4 %.[13]) Nach dem Lebensalter waren 1374 Einwohner unter 18 Jahren, 3522 zwischen 18 und 49, 1965 zwischen 50 und 64 und 1728 Einwohner waren älter.[14] Die Einwohner lebten in 3615 Haushalten. Davon waren 1059 Singlehaushalte, 1050 Paare ohne Kinder und 1140 Paare mit Kindern, sowie 285 Alleinerziehende und 81 Wohngemeinschaften. In 726 Haushalten lebten ausschließlich Senioren und in 2421 Haushaltungen leben keine Senioren.[14]
Reichelsheim: Einwohnerzahlen von 1829 bis 2020 | ||||
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Jahr | Einwohner | |||
1829 | 1.240 | |||
1834 | 761 | |||
1840 | 835 | |||
1846 | 820 | |||
1852 | 825 | |||
1858 | 770 | |||
1864 | 796 | |||
1871 | 730 | |||
1875 | 765 | |||
1885 | 726 | |||
1895 | 708 | |||
1905 | 680 | |||
1910 | 701 | |||
1925 | 703 | |||
1939 | 694 | |||
1946 | 1.024 | |||
1950 | 1.009 | |||
1956 | 1.043 | |||
1961 | 1.008 | |||
1967 | 1.030 | |||
1970 | 3.133 | |||
1973 | 7.066 | |||
1975 | 7.087 | |||
1980 | 7.386 | |||
1985 | 7.604 | |||
1990 | 8.223 | |||
1995 | 9.026 | |||
2000 | 9.125 | |||
2005 | 9.083 | |||
2010 | 8.723 | |||
2011 | 8.589 | |||
2015 | 8.540 | |||
2020 | 8.471 | |||
Datenquelle: Historisches Gemeindeverzeichnis für Hessen: Die Bevölkerung der Gemeinden 1834 bis 1967. Wiesbaden: Hessisches Statistisches Landesamt, 1968. Weitere Quellen: [2]; Hessisches Statistisches Informationssystem[13]; Zensus 2011[12] Nach 1970 einschließlich der im Zuge der Gebietsreform in Hessen eingegliederten Orte. |
• 1961: | 2143 evangelische (= 84,0 %), 344 katholische (= 13,5 %) Einwohner[2] |
• 1987: | 5641 evangelische (= 74,1 %), 1113 katholische (= 14,6 %), 855 sonstige (= 11,2 %) Einwohner[15] |
• 2011: | 4994 evangelische (= 58,0 %), 1245 katholische (= 14,9 %), 2320 sonstige (= 27,1 %) Einwohner[15] |
Die Kommunalwahl am 14. März 2021 lieferte folgendes Ergebnis,[16] in Vergleich gesetzt zu früheren Kommunalwahlen:[17][18][19]
Parteien und Wählergemeinschaften | % 2021 |
Sitze 2021 |
% 2016 |
Sitze 2016 |
% 2011 |
Sitze 2011 |
% 2006 |
Sitze 2006 |
% 2001 |
Sitze 2001 | ||
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CDU-RWG | Christlich Demokratische Union Deutschlands – Reichelsheimer Wähler-Gemeinschaft |
59,0 | 18 | 59,3 | 18 | 51,4 | 16 | 41,1 | 13 | — | — | |
SPD | Sozialdemokratische Partei Deutschlands | 37,6 | 12 | 40,7 | 13 | 42,8 | 13 | 45,8 | 14 | 45,8 | 14 | |
FDP | Freie Demokratische Partei | 3,4 | 1 | — | — | 5,9 | 2 | 7,5 | 2 | 4,6 | 1 | |
GRÜNE | Bündnis 90/Die Grünen | — | — | — | — | — | — | 5,6 | 2 | 6,4 | 2 | |
CDU | Christlich Demokratische Union Deutschlands | — | — | — | — | — | — | — | — | 24,4 | 8 | |
RWG | Reichelsheimer Wähler-Gemeinschaft | — | — | — | — | — | — | — | — | 18,8 | 6 | |
Gesamt | 100,0 | 31 | 100,0 | 31 | 100,0 | 31 | 100,0 | 31 | 100,0 | 31 | ||
Wahlbeteiligung in % | 53,6 | 53,9 | 53,8 | 55,2 | 62,0 |
Bei der Wahl zum Bürgermeister konnte sich 2008 Stefan Lopinsky (RWG) mit 61,2 Prozent der Stimmen durchsetzen. Eine Wiederwahl folgte 2014 und 2020.[20][21]
Blasonierung: „Auf goldenem Boden in Rot unter drei nebeneinander stehenden sechsstrahligen Sternen drei goldene Eichbäume, dazwischen zwei goldene Eichenschößlinge.“
Dieses Bild stammt aus dem Gerichtssiegel des 17. Jahrhunderts, das 1914 wieder aufgefunden worden ist. Die Sterne verweisen auf die Landesherrschaft der Grafen von Erbach, die Bäume sollten wohl die Lage des Dorfs im Odenwald versinnbildlichen. 1923 wurde das Wappen vom hessischen Innenminister in der von Hupp empfohlenen Tingierung verliehen.[22]
Reichelsheim besitzt Partnerschaften seit Mitte der 1990er Jahre mit dem französischen Dol-de-Bretagne Cherrueix, seit 2010 mit dem ungarischen Nagymányok und dem polnischen Jablonka.
Seit 1995 finden jährlich am letzten Wochenende im Oktober die Reichelsheimer Märchen- und Sagentage mit Verleihung des Wildweibchenpreises statt. Viele mittelalterliche Aufbauten und Bekleidungen sind zu bewundern.
Untergebracht im ehemaligen Rathaus von 1554, Deutschlands ältestem Fachwerk-Rathaus mit der Mannform als Verstrebungsfigur. Ausstellungsschwerpunkte sind der Bergbau, typische Handwerke wie Lebkuchenbäckerei, Gäulchesmacher (Holzschnitzer für Pferde), Schindler und Schuhmacher sowie das frühere Dorfschulwesen; auch die ehemalige Reinheim-Reichelsheimer Eisenbahn („Odenwälder Lieschen“) wird thematisiert: Die Ausstellung von über 800 Bahnpostwagen und Lokomotiven des In- und Auslands vornehmlich im Maßstab H0 wurde im Jahr 2015 neu gestaltet. Im Haus der Vereine ist die Unterabteilung 'Familienarchiv Reichelsheim im Odenwald' untergebracht, welche sich mit Ahnenforschung und den Familiären Strukturen im Ort und dem gesamten Odenwald beschäftigt.
Für Details zum Bergbau, siehe: Liste von Bergwerken im Odenwald.
Das heutige Schloss Reichenberg entstand als Burg Richenburg im 13. Jahrhundert, erstmals urkundlich erwähnt im Jahre 1307. Bemerkenswert ist das Herrenhaus (Palas). Der Palas wurde wegen seines gekrümmten Grundrisses der Krumme Bau genannt.
Hier wurde am 14. Februar 1776 der spätere Naturforscher Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck geboren. Er war Freund Goethes, Mitbegründer der Universität Bonn und des Botanischen Gartens Bonn, 40 Jahre lang Präsident der Leopoldina und Direktor des Botanischen Gartens in Breslau, wo er am 16. März 1858 verstarb.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Burg in wechselndem adligen Besitz. Von 1876 bis 1924 wurde die nun Schloss Reichenberg genannte Anlage als Privatschule für Knaben der gehobenen Stände genutzt. Danach übernahm die Familie Siefert vom Frohnhof das Schloss. Sie verkaufte 1963 einige Gebäude als Ferienheim an die Deutsche Bundespost.
Im Juli 1979 kaufte die ökumenische Kommunität Offensive Junger Christen (OJC) das Schloss Reichenberg. Sie baute es zu einer (öffentlich zugänglichen) internationalen Begegnungs- und Tagungsstätte mit Schlosscafé um. Der obere ältere Teil des Schlosses, der sogenannte Krumme Bau, wird zurzeit renoviert.
Siehe Liste der Kulturdenkmäler in Reichelsheim
Reichelsheim liegt am Mergbach, dem Hauptquellfluss der Gersprenz. Der Verlauf des Mergbachs und Osterbachs mit einigen Zuflüssen ist Teil des Natura2000-Schutzgebiets „Oberläufe der Gersprenz“ (FFH-Gebiet DE 6319-302).[23]
In der Gemarkung Laudenau gehört ein Teil des Waldes zum ausgedehnten Natura2000-Gebiet „Buchenwälder des Vorderen Odenwaldes“ (FFH-Gebiet 6218-302). In der Gemarkung Erzbach befindet sich das Naturschutzgebiet „Stollwiese bei Erzbach“.[24]
Durch die Bundesstraßen 47 (Nibelungenstraße zwischen Michelstadt und Worms) und 38 (zwischen Roßdorf bei Darmstadt und Weinheim/Mannheim), die gemeinsam durch Reichelsheim führen, ist die Gemeinde an das Verkehrsnetz angeschlossen. Die Bahnstrecke Reinheim–Reichelsheim ist abgebaut. Busverbindungen nach Bensheim, Fürth i. Odw., Reinheim und Michelstadt schaffen Anschluss ans öffentliche Schienennetz (Main-Neckar-Eisenbahn, Weschnitztalbahn und Odenwaldbahn).
In Reichelsheim befindet sich ein Polizeiposten, der zum Polizeirevier Erbach/Odenwald gehört.
Städte: | ||
Gemeinden: |
Brensbach | Brombachtal | Fränkisch-Crumbach | Höchst im Odenwald | Lützelbach | Mossautal | Reichelsheim (Odenwald) |
Beerfurth aus den Orten Kirch-Beerfurth und Pfaffen-Beerfurth | Bockenrod | Eberbach | Erzbach | Frohnhofen | Gersprenz | Gumpen aus den Orten Groß-Gumpen und Ober-Klein-Gumpen | Klein-Gumpen | Laudenau | Ober-Kainsbach | Ober-Ostern | Reichelsheim | Rohrbach | Unter-Ostern