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Illerzell ist ein Gemeindeteil der Stadt Vöhringen im schwäbischen Landkreis Neu-Ulm.

Illerzell
Viergeteiltes Wappen der Grafen von Kirchberg
Viergeteiltes Wappen der Grafen von Kirchberg
Höhe: 494 m ü. NHN
Fläche: 1,91 km²
Einwohner: 1100
Bevölkerungsdichte: 576 Einwohner/km²
Eingemeindung: 1. Juli 1972
Eingemeindet nach: Vöhringen
Postleitzahl: 89269
Vorwahl: 07307
Illerzell (Bayern)
Illerzell (Bayern)

Lage von Illerzell in Bayern

Der Ort liegt nordwestlich des Hauptortes Vöhringen. Westlich erstreckt sich das rund 185 ha große Naturschutzgebiet Wochenau und Illerzeller Auwald, fließt die Iller und verläuft die Landesgrenze zu Baden-Württemberg.


Illernähe, Natur und Umwelt


Dorfmitte mit der Pfarrkirche Sankt Ulrich (2022)
Dorfmitte mit der Pfarrkirche Sankt Ulrich (2022)

Die Geschichte Illerzells ist seit den ersten Ansiedlungen auf dem heutigen Ortsgebiet vor wohl knapp tausend Jahren geprägt von einem Verhältnis aus Nähe und Distanz zur westlich des Dorfes fließenden Iller, die als lexikalisches Grundmorphem bis heute Teil des Ortsnamens ist. Einerseits sicherte der Fluss den ansässigen Müllern, Fährleuten und (Schwarz-)Fischern das Überleben. Andererseits wurde der Fluss nicht nur in Zeiten von das Dorf unter Wasser setzenden und seine Bausubstanz schwer beschädigenden Hochwassern zur lebensbedrohlichen Gefahr für Land und Leute, die unter anderem Milchprodukte, Getreide und Felle über das Wasser in die nördlich gelegene Freie Reichsstadt Ulm transportierten.[1] Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war das Wasser des im Laufe der Jahrhunderte weiter nach Westen gerückten Flusses in eine knapp 600 m breite Naturtalaue eingebettet,[2] ab 1855 wurde der Illerlauf jedoch in knapp vier Jahrzehnte andauernden Arbeiten begradigt und ihre Breite auf nicht einmal zehn Prozent der ursprünglichen Talaue verschmälert. Nicht nur die im nahen Vöhringen ab 1864 ansässigen Ulmer Wielandwerke versuchten, mittels von der Iller abgezweigter Kanalströme das Wasser für die Stromgewinnung zu nutzen; auch in Illerzell wurden die Obere Mühle südöstlich (an der heutigen Mühlbachstraße) sowie die Untere Mühle (heutiges E-Werk) inmitten des damaligen Ortes betrieben. Zwei Jahre nach Ende der Begradigungsarbeiten fielen am 12. April 1896 vor der Dankandacht anlässlich der Erstkommunion mehrere Kommunionmädchen, die auf einer schlichten wie morschen Holzbrücke herumgeturnt hatten, bei der Einmündung des Iller-Eiskanals („Renne“) in die Iller ins Wasser, sodass nach ihrer Rettung bis heute die Nachfolgebrücke im Volksmund „Mädlasteag“ (Mädchenbrücke) genannt wird. Wenngleich im nahen und rund 185 ha großen Naturschutzgebiet Wochenau und Illerzeller Auwald heute u. a. Rehe, Füchse, Biber und Wildschweine leben, hat nicht zuletzt durch den anthropogenen Treibhauseffekt die Biodiversität rund um die Iller in den letzten eineinhalb Jahrhunderten stark gelitten.

Waldsee mit Insel in Illerzell mit Blick in Richtung Senden
Waldsee mit Insel in Illerzell mit Blick in Richtung Senden

Die Wetterextreme zeigen sich nicht zuletzt darin, dass Illerzell 1999 derart schwer durch ein Jahrhunderthochwasser heimgesucht wurde, dass selbst die bundesweit berichtende Tagesschau den Ort in ihre Berichterstattung aufnahm. Gleichzeitig graben sich Iller und Grundwasser seit Jahrzehnten ein. Die unterschiedlichen Interessenslagen von Naturschützenden, Vereinen und Anwohnern versucht in diesem Zusammenhang das knapp 70 Millionen Euro teure Projekt Agile Iller zusammenzuführen und den Fluss ab 2017 zwischen Memmingen und Neu-Ulm zu möglichst erlebnisnah zu renaturieren.[3] Neben der Iller sind aber auch der Waldsee nördlich und der Kellerbau südöstlich des Ortes mit einer jeweiligen Fläche von 0,15 km2 Stillgewässer, die im Sommer viele Menschen aus der Region zur Naherholung anziehen.


Geschichte


Im Mai 1247 bezeugt ein ansonsten in keinen anderweitigen historischen Quellen auftauchender Heinricus de Celle bzw. Heinrich von Zell eine Gebietsübertragung an das Kloster Söflingen.[4] Während aufgrund des Wortes „Zelle“, das in seiner lateinischen Übersetzung für cella auch Klosterzelle bedeuten kann, anfangs über einen geistlichen Ursprung des Ortes, etwa als Expositur zum Mittelzeller Benediktinerkloster auf der Reichenau, gemutmaßt wurde,[5] wird nach neueren Forschungserkenntnissen das Wort in den Zusammenhang mit ökonomischen Getreidespeichern und Kornkammern gebracht.[6] Vermutlich war das Dorf ab 1313 für knapp ein viertel Jahrhundert in den Besitztümern der Ellerbacher, ehe es mit dem Aufstieg der Patrizier in der nahen und bedeutenden Textil-Reichsstadt Ulm spätestens ab Mitte der 1330er Jahre in Besitz der bedeutenden Patrizierfamilie Roth übergeht, die sich namentlich durch Heinrich Roth von Zell, Fritz Rot(h) von Zell den Alten und dessen Sohn Hainrich Roth von Zell in drei Generationen durch caritative Stiftungen und Spenden auf dem Ulmer Stadtgebiet hervortaten. Das neben der ersten (Holz-)Kirche, die nach mündlicher Überlieferung wohl auf der linken Seite des Illerkanals auf Höhe des heutigen E-Werks gelegen haben soll, wichtigste Gebäude zu dieser Zeit war das Schloss im Westen des Dorfes (heutiger Schifffahrtsweg; Hausnummer 13). Mit der zunehmenden Verbreitung der Burgen im süddeutschen Raum ab dem 11. Jahrhundert taucht das Schloss Illerzell zum ersten Mal im Zusammenhang mit einer Legende aus der Mitte des 13. Jahrhunderts auf, der zufolge der von seiner Familie verstoßene Eberhard II. von Kirchberg nach Erdrosselung seines eigenen Vaters den anschließenden Hausarrest in Illerzell verbracht haben soll.[7] 1373 mitsamt des Ortes an die Ulmer Patrizierfamilie der Ehinger verkaufte, wohnt die Kirchberger Gräfin Anna nach dem Ableben ihres Mannes 1470 knapp 23 Jahre als Witwe im Schloss. Zum eher schlichten wie robusten Schloss gehörten insgesamt drei Gärten, ein landwirtschaftlicher Hof sowie umgerechnet knapp 65.000 m2 Wiese und ein später von der Iller verschluckter kleiner Weiher.[8]

Spätgotische Madonnen-Figur mit Jesuskind im rechten Seitenaltar der Pfarrkirche Sankt Ulrich.
Spätgotische Madonnen-Figur mit Jesuskind im rechten Seitenaltar der Pfarrkirche Sankt Ulrich.
„Mädlasteag“ bei der Einmündung des Illerkanals in die Iller (2021)
„Mädlasteag“ bei der Einmündung des Illerkanals in die Iller (2021)

In Folge des Bayerischen Erbfolgekrieges behauptete knapp zehn Jahre nach dem Ableben der Gräfin Anna von Kirchberg (†1493) der römisch-deutsche König Maximilian die Herrschaft Kirchberg-Weißenhorn für sich und übertrug als territorialen Ausgleich für seine finanzierte Kaiserwahl 1507 dem Augsburger Kaufmann Jakob Fugger die Herrschaft, der den drei Jahre zuvor vom späteren Kaiser Maximilian als Leibgeding eingesetzten Heinrich Merck aus dessen lebenslangem Versorgungsrecht am Schloss herauskaufte und entschädigte.[8] Im Zuge der „Kleinen Eiszeit“ in seiner Bausubstanz wohl zu stark in Anspruch genommen, wurde das Schloss 1627 auf Geheiß der zuständigen Fugger hin abgerissen.[8] Nasse und regenreiche Sommer sowie lange und kalte Winter verstärkten die jährlichen Hochwasser und schmälerten die jährlichen Ernteerträge beträchtlich.

Doch nicht nur das Schloss hatte unter den veränderten klimatischen und politischen Bedingungen gelitten; auch das bescheidene Kirchlein der vom Marien- zum Ulrichspatronat gewechselten Pfarrei verfügte im Jahrzehnt vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges lediglich über zwei Kelche und einen Turm mit zwei kleinen Glocken. Gleichzeitig fehlte eine wasserfeste Sakristei, ein Tabernakel oder das Ewige Licht. Eine Situation, die sich mit den Ausplünderungen des Ortes während des Krieges (1618–1648), in dem die von der Landwirtschaft lebenden Menschen, die knapp 80 % der Bevölkerung im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation ausmachten, die durchziehenden Söldner unterzubringen und zu versorgen hatten, zusätzlich verschlimmerte und im fast vollständigen Abbrennen des Ortes mit Ausnahme des Kirchleins mündete.[9] 1635 erlag mit Pfarrer Jakob Walter der neunte Nachfolger des ersten belegten Ortspfarrers Konrad Mair (†1492/94) der Pest; während des Französisch-Schwedischen Kriegs(abschnitts) lebten 1642 gar nur noch drei Familien im Ort. Die alltäglichen und humanitären Nöte sorgten dafür, dass in den letzten Jahren des Episkopats des Augsburger Fürstbischofs Heinrich V. von Knöringen bis zu sieben Pfarreien von einem Seelsorger betreut werden mussten. Illerzell wurde jahrzehntelang von Wullenstetten oder Illerberg aus betreut und während der englischen Belagerung Ulms im Spanischen Erbfolgekrieg erneut stark in Mitleidenschaft gezogen. Die nächsten knapp zwei Jahrhunderte konnten sich Land und Leute wieder erholen; auch die Pfarrstelle blieb bis zum Tode Pfarrer Joseph Schäbles nach siebzehnjähriger Amtszeit († 1935) mit Ausnahme eines knapp fünfundzwanzigjährigen Intermezzos um die Jahrhundertwende ab 1668 ein Viertel Jahrtausend über vor Ort besetzt. Die Pfarrer bildeten so bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zusammen mit den im Rathaus (heutiger Altbauteil des Feuerwehrhauses) Ton angebenden Bürgermeistern und den im Alten Schulhaus (heute „Kindergarten Pusteblume“) unterrichtenden Schullehrkräften das prestigeträchtige Dreigestirn des Ortes. Aus der Zeit der Napoleonischen Kriege ist Illerzell, an dessen Lage die französischen Truppen gemäß Volksmund fälschlicherweise eine Stadt zu glauben schienen, ein aus Oberelchingen entwendetes und von betrunkenen Soldaten im ehemaligen Gasthaus „Traube“ vergessenes Gemälde mit dem Motiv der „Sieben Schmerzen Mariens“ erhalten. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es durch den jungen wie sterbenskranken Trauben-Wirt Hornstein in einer eigens gebauten Kapelle untergebracht. Da dieser Bau durch aufgestellte Votivkerzen während des Zweiten Weltkriegs in Brand geriet, befindet sich das unbeschadete Bild nunmehr im durch Pfarrer Eberle an gleicher Stelle wiedererrichteten Neubau.

In den beiden Weltkriegen ließen in einer von Ideologisierung und Nationalismus eingefärbten Zeit auch viele junge Illerzeller ihr Leben auf dem Schlachtfeld; so finden sich auf dem Kriegerdenkmal 17 (Erster Weltkrieg) bzw. 37 (Zweiter Weltkrieg) Namen von Menschen des Ortes, die aus dem Kriegsverlauf jeweils nicht mehr lebendig zurückkehrten. 2012 wurde bei der Aushebung eines privaten Fischteichs in der Waldseestraße ein Zufallsfund gemacht, der die politische Gesinnung von Bürgermeister Sauter, dem Sportvereinsvorsitzendem Kast und Hauptlehrer Held Anfang der 1930er Jahre offenlegt. In einer Flaschenpost wurde an die Pflanzung zweier nach Paul von Hindenburg und Adolf Hitler benannter Linden zum 1. Mai 1933 erinnert und dem greisen Reichspräsidenten für die Ernennung des NSDAP-Chefs und späteren millionenfachen Massenmörders zum Reichskanzler gedankt.[10] Sinnbildlich für die juristische Nachlässigkeit gegenüber NS-Tätern im Deutschland der Nachkriegsjahre lebte nach Untergang des Dritten Reiches von Einheimischen relativ unbemerkt der ehemalige SS-Gruppenführer Gerhard Klopfer, der im Januar 1942 einer von 15 Teilnehmern der Wannseekonferenz war, für einige Jahre unter falschem Namen in Illerzell.[11]

Funkenfeuer (2020)
Funkenfeuer (2020)
Illertal-Gymnasium Vöhringen in Illerzell
Illertal-Gymnasium Vöhringen in Illerzell

Nicht zuletzt aufgrund neuer Baugebiete wuchs der Ort bis Anfang der 1970er Jahre auf 600 Einwohner an. Nach einem Schreiben des Vöhringer Bürgermeisters Otto Stocker (1964–1976) an seinen Illerzeller Pendanten Friedrich Schintzel (1961–1972) im Frühjahr 1970 wurde durch die beiden Gemeinderäte nicht nur die enge Zusammenarbeit beim Bau der Kanalisation in Illerzell vereinbart, sondern auch die Eingliederung der Gemeinde Illerzell in die Gemeinde Vöhringen erwogen. Im Oktober 1971 stimmten über 93 % der wahlberechtigten Illerzellerinnen und Illerzeller in einer „Testbefragung“ für die Eingemeindung nach Vöhringen und damit eindeutig gegen eine mögliche Eingliederung nach Senden. Die Zusammenlegung der Altlandkreise Illertissen und Neu-Ulm zum neuen Landkreis Neu-Ulm ebnete im Zusammenhang mit der Bayerischen Gebietsreform 1972 unerwartet die juristischen Hürden, die ein etwaiger Landkreiswechsel des zu Neu-Ulm gehörigen Illerzell nach Illertissen wohl jahrelang hätte nehmen müssen, sodass am 1. Juli 1972 im Rahmen eines Festakts die Eingliederung Illerzells in die Gemeinde und spätere Stadt Vöhringen gefeiert wurde.[12] In den Folgejahren duellierten sich in einer politisch hitzig geführten Debatte, die letztlich sogar bayernweit in der Sendung Jetzt red i des Bayerischen Rundfunks Aufmerksamkeit erhielt, Vöhringen und Senden um den Standort eines zu errichtenden Gymnasiums. Nachdem beide frischgebackenen Städte jeweils die Mehrheit für einen etwaigen Schulstandort im Kreistag verpasst hatten, setzte sich der Vorschlag des Vöhringer Bürgermeisters und späteren Neu-Ulmer Landrats Erich Josef Geßner durch, das Schulgebäude für das „heimatlose“ und in (Keller-)räumen der Uli-Wieland-Schule und der Volksschule notdürftig untergebrachte Mathematisch-naturwissenschaftliche Gymnasium Vöhringen in Illerzell zu errichten.[13] Das Gebäude wurde mit Beginn des Schuljahres 1982/83 bezogen und ist aufgrund der Generalsanierung 2014/17 und des Baus der Mensa knapp zehn Jahre zuvor einer der modernsten Schulgebäude der Region. Insgesamt fünfte Schulleiterin ist seit Sommer 2019 OStDin Regina Beutler, die in Nachfolge von Herbert Maier (1973–1998), Hellmuth Mößle (1998–2004), Roland Hunger (2004–2012) und Dr. Ralph Schabel (2012–2019) von über 80 Lehrkräften bei der Unterrichtung von knapp 700 Kindern und Jugendlichen unterstützt wird.[13]

Ebenfalls über die Grenzen des Landkreises hinaus machte sich der 1929 gegründete Sportverein einen Namen, der seine Heimspiele zunächst auf einem Platz zwischen dem heutigen Zeisigweg und der Waldseestraße jenseits des Kanals austrug und am 9. Februar 1984, dem Schwarzen Donnerstag", das vollständige Ausbrennen des durch viele helfende Hände erbauten Vereinsheims verkraften musste: Ab 1959 bis in die 1990er Jahre hinein war der Verein Organisator von internationalen Pfingstturnieren und -spielen, bei denen Mannschaften aus Kamerun, der ehemaligen Tschechoslowakei oder die Nationalmannschaft Vietnams ebenso antraten wie etwa bundesdeutsche Teams aus der Jugend des 1. FC Kaiserslautern um Spieler wie Mario Basler.[14]

Auch in der Gegenwart sind die von der Trachtenkapelle musikalisch gestalteten Maibaum-, Dorf- und Weinfeste am Sport- oder Dorfplatz, die Aufführungen der örtlichen Mundart-Theatergruppe, die Heimspiele der seit der Saison 2018/19 in einer Spielergemeinschaft mit dem SC Vöhringen zusammenspielenden Fußballabteilung des SV Illerzell und die sonstigen vielfältigen Aktivitäten des Sportvereins, die kirchlichen Feste und Gottesdienste oder das von der Feuerwehr organisierte Funkenfeuer Angebote innerhalb der Dorfgemeinschaft und darüber hinaus, Begegnung und Beisammensein im Jahreskreis zu pflegen.

„Der alteingesessene Illerzeller ist zwar heute noch Illerzeller und darf dies auch sein. Aber er identifiziert sich gleichzeitig mit der Stadt Vöhringen. Es gibt keine Benachteiligungen. Als Stadtteil von Vöhringen hat sich Illerzell seinen ganz eigenen Charakter bewahrt und ist ein begehrter und attraktiver Wohnort.“

Karl Janson: in: Amtliche Mitteilungen der Stadt Vöhringen. Offizielles Amts- und Mitteilungsblatt der Stadt Vöhringen und ihrer Stadtteile.[15]

Pfarrkirche Sankt Ulrich als Wahrzeichen des Ortes


Hochaltar der Illerzeller Ulrichskirche (2022).
Hochaltar der Illerzeller Ulrichskirche (2022).
Schmidt-Deckengemälde (1939) mit dem Motiv der Ulrichsmesse.
Schmidt-Deckengemälde (1939) mit dem Motiv der Ulrichsmesse.

Bereits 1373 indirekt im Zusammenhang mit dem verkauften Kirchensatz an die Grafen von Kirchberg erwähnt, war die Illerzeller Pfarrei, deren datierbare Ursprünge sich im Dunkel der Geschichte verlieren, aufgrund der häufig durch Hochwasser weggeschwemmten Ernteerträge und wiederholter Plünderungen verhältnismäßig arm und verfügte lediglich über beschränkte finanzielle Spielräume. Daher fehlten lange Zeit über wichtige Elemente der liturgischen Grundausstattung.[16] Das wohl auf das späte 15. Jahrhundert zurückgehende Kirchlein, das dem Volksmund nach einen abgebrannten Vorgängerbau aus Holz knapp 100 m nordöstlich des ehemaligen Schlosses ablöste, war entsprechend in seiner Bausubstanz aus dem Schutt abgetragener Bauwerke und Illerschotter errichtet.[17] Bis Ende des 16. Jahrhunderts vom Marien- zum Ulrichspatronat übergegangen, war die, ,alte Kirche" ohne Turm ca. vierzehn Meter lang und sechs Meter breit. Ihre 1,10 Meter breiten Außenmauern waren ohne besonderes Fundament errichtet und in ihrem Inneren mit ungeeigneten Baubruchstücken aufgefüllt, sodass sich aufgrund der Feuchte im Mauerwerk Risse bildeten und die nördlichen und südlichen Doppelmauern jeweils nach außen gedrückt wurden, was die Baustatik ernsthaft bedrohte.[18] Die alte Kirche war mit zwei Altären ausgestattet. Ersterer war als Hauptaltar der früheren Pfarrpatronin, der Muttergottes, sowie der Heiligen Barbara und Katharina gewidmet; zweiterer dem Pfarrpatron Sankt Ulrich sowie Sebastian und Anna. Der Turm verfügte über zwei Glocken, wovon die ältere knapp 50 kg wog und als Fertigung Johann Frädenbergers auf die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts zu datieren ist. Er wurde in zwei Bauabschnitten errichtet, sodass der untere Teil eine Höhe von knapp sechs Metern aufwies, während der jüngere Aufbau ein Satteldach trug, das im Norden und Süden mit jeweils drei Birett-förmigen Hauben aus Stein auf den gotischen Pfeilern verziert wurde. Nachdem am frühen Dienstagmorgen des 22. Februar 1859 die neue Pfarrkirche in Weißenhorn während der Frühmesse einstürzte und zwölf Menschen ihr Leben lassen mussten, reagierte der Illerzeller Ortspfarrer Ambrosius Degenhart zügig wie konsequent und richtete in nicht einmal zwei Wochen den 1837 zusammen mit dem Pfarrhaus erbauten Pfarrstadel als Interimskirche für das einsturzgefährdete Kirchlein ein.[19] Um die vom Weißenhorner Maurermeister Joseph Deibler und dem Illertisser Baubeamten Emil Horstig d´Aubigny von Engelbrunner ausgearbeiteten Entwürfe eines Neubaus in die Tat umzusetzen, musste durch die Genehmigung der Kollekte im ganzen Königreich seitens König Maximilians II. Joseph nicht nur der finanzielle Rahmen geschaffen werden, sondern auch ab Hochsommer 1861 der Vorgängerbau samt Kirchenmauer abgerissen werden und der nunmehr als Bauplatz verwendete Friedhof zur Beseitigung von Unebenheiten teilweise aufgeschüttet werden.

Primiz von Klaus Bucher am 11. Mai 1997 auf dem Sportplatz in Illerzell.
Primiz von Klaus Bucher am 11. Mai 1997 auf dem Sportplatz in Illerzell.

Da auf dem Bau die unentgeltlich arbeitenden Illerzeller in Streit gerieten und es bezüglich der zu bauenden Sakristei zu Unstimmigkeiten zwischen Ortspfarrer Degenhart und dem Kirchenpfleger Schmölz kam, verzögerte sich der Bau in seiner Fertigstellung. Ursprünglich war ein Hochaltar mit schlichtem Aufbau knapp hinter den vom Vöhringer Schreiner Zeller gefertigten Chorgestühlen geplant, damit die Sakristei aus Kosten- wie Platzgründen innerhalb des Chores untergebracht hätte werden können. Die finanziellen Bewilligungen seitens des bayrischen Königs sowie die Schenkung des Hundertpfund-Hochaltargemäldes durch den Augsburger Bischof führten dazu, dass die Sakristei an der Südseite der Kirche ausgelagert werden konnte. Der von Schreinermeister Heinle aus Hegelhofen gefasste Hochaltar erwies sich nunmehr als zu hoch für die hintere Nische im Chor, sodass die ursprünglich drei geplanten Hochaltarstufen auf zwei reduziert wurden und das mittlere Chorfenster wieder zugemauert werden musste. Knapp zweieinhalb Jahre nach Baubeginn wurde Ende Juni 1864 die noch schlicht ausgestattete Pfarrkirche durch den Illerberger Dekan Barthlme benediziert; am Morgen des 19. Mai 1867 durch den Augsburger Bischof Pankratius von Dinkel geweiht. Die Kirche erfuhr gerade in den 1930er Jahren charakteristisch einschneidende Umgestaltungen: Die burgartigen Verziermalereien des Malers Albert Heinle wurden ebenso wie die Chorfenster Augsburger Stifter ersetzt: Die Familie Eberle stiftete 1932 die die durch Franz Xaver Zettler aus München geschaffenen Farbglasfenster mit dem Motiv „Herz Jesu“ bzw. „Herz Mariens“; 1939 ersetzte der Münchner Maler Johann Michael Schmidt die Heinle-Malereien an er Wand durch eine schlichtere Gestaltung. Zudem schuf er im Chor („Ulrichsmesse“) sowie im Langhaus („Schlacht auf dem Lechfeld“) zwei neue Malereien rund um das Leben des Pfarrpatrons. Letztere Langhaus-Malerei, die den Teufel mit einem durch den Heiligen Ulrich ausgestochen Auge zeigte, wurde aufgrund ihres trivialen wie brutalen Charakters bei der Kirchenrenovation von 1987/89 entfernt. Letztere war in der jüngeren Vergangenheit neben der Renovierung von 2009/10 der bedeutendste Eingriff zum Erhalt der Bausubstanz und zur Erneuerung des Kirchengebäudes nach den jeweiligen liturgischen Ansprüchen.

Anlässlich diverser Wiedereröffnungen oder kirchlicher Feste im Jahreskreis waren mit dem Augsburger Weihbischof Rudolf Schmid (1989), dem Diözesanadministrator Josef Grunwald (2010) sowie dem emeritierten Augsburger Diözesanbischof Walter Mixa (2014) auch immer wieder Bischöfe aus der Leitung des Bistums Augsburg als Hauptzelebranten zu Gast in der Illerzeller Ulrichskirche. Weitere kulturelle wie liturgische Höhepunkte waren und sind die drei Primizen im Ort: 1896 feierte Ulrich Eberle, der sich in seinen über 40 Jahren als Pfarrer in Brunnen über dem rechten Seitenaltar der dortigen Kirche Sankt Michael malen ließ und Ende 2020 eine nach ihm benannte Straße durch den Gemeinderat Brunnen bewilligt bekam, seine erste Heilige Messe in der Ulrichskirche. 1997 folgte die Primiz des heutigen Günzburger Dekans Klaus Bucher, bei der unter anderem der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel teilnahm. 2012 die des heutigen Augsburger Domvikars und Diözesanjugendpfarrers Tobias Wolf. Zuständiger Pfarrer für Illerzell ist in einer Reihe von 50 dokumentierten Namen von Seelsorgern seit 2014 der ehemalige Augsburger Regens und nunmehrige Vöhringer Stadtpfarrer Martin Straub.



Commons: Illerzell – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise


  1. Karl Filser: „Die Yler ist ein groß Wasser/ Fisch und Flötzreich“. Zur Geschichte der Illerflößerei. In: Otto Kettemann, Ursula Winkler (Hrsg.): Die Iller, Geschichten am Wasser von Noth und Kraft. Kronburg-Illerbeuren 1992, S. 171196.
  2. Christoph Konrad: Die Iller. In: Illerzell. Dorf im unteren Illertal. Stadtteil von Vöhringen. Anton H. Konrad, Weißenhorn 2018, S. 917.
  3. Ursula Katharina Balken: Die Iller im Wandel. In: Illertisser Zeitung. AZ, 4. Mai 2021, S. 26.
  4. Anke Sczesny: Geschichte von Illerzell bis zur Eingemeindung in das moderne Bayern. In: Illerzell. Dorf im unteren Illertal. Stadtteil von Vöhringen. Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn 2018, S. 3173.
  5. Theodor Span: Geschichte und Werdegang der Pfarrei Illerzell. In: St. Ulrich Illerzell. 1989, S. 78.
  6. Anke Sczesny: Geschichte von Illerzell bis zur Eingliederung in das moderne Bayern. In: Illerzell. Dorf im unteren Illertal. Stadtteil von Vöhringen. Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn 2018, S. 3173.
  7. Michael Braig: Kurze Geschichte der vorderösterreichischen Benediktinerabtei Wiblingen in Schwaben. Isny 1864, S. 76107.
  8. Christoph Konrad: Schloss Illerzell. Hrsg.: Illerzell. Dorf im unteren Illertal. Stadtteil von Vöhringen. Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn 2018, S. 8183.
  9. Theodor Span: Die ,,alte Kirche". In: St. Ulrich Illerzell. Weißenhorn 1989, S. 2528.
  10. Peter Wischenbarth: Die Geschichte von drei besonderen Linden in Illerzell. In: Illerzell. Dorf im unteren Illertal. Stadtteil von Vöhringen. Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn 2018, S. 200202.
  11. Ralph Manhalter: Wie ein Ulmer den Holocaust vorantrieb. In: AZ (Hrsg.): Illertisser Zeitung. 21. Januar 2022, S. 26.
  12. 50 Jahre Eingemeindung Illerzell. „Zellamer“ zeigen sich stolz auf ihren Heimatort. In: Extra (Hrsg.): Amtliche Mitteilungen der Stadt Vöhringen. Nr. 26, 29. Juni 2022, S. 1.
  13. Hellmuth Mößle: Das Illertal-Gymnasium. In: Illerzell. Dorf im unteren Illetal. Stadtteil von Vöhringen. Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn 2018, S. 351384.
  14. Theodor Span: ,,Elf Freunde müsst ihr sein, um Siege zu erringen". Sportverein Illerzell 1929 e.V. In: Illerzell. Dorf im unteren Illertal, Stadtteil von Vöhringen. Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn 2018, S. 327339.
  15. Hier steht’s! S. 1
  16. Theodor Span: Die ,,alte Kirche". In: St. Ulrich Illerzell. Weißenhorn 1989, S. 2528.
  17. Richard Ambs: Eine kurze archäologische Untersuchung in der Pfarrkirche St. Ulrich, Illerzell. In: Landkreis Neu-Ulm (Hrsg.): Geschichte im Landkreis Neu-Ulm. 16. Jahrgang 2010. Druckerei und Verlag Ziegler, Krumbach 2010, S. 125128.
  18. Horst Reul: Die katholische Kirche St. Ulrich in Illerzell. In: Landkreis Neu-Ulm (Hrsg.): Geschichte im Landkreis Neu-Ulm. 16. Jahrgang 2010. Druckerei und Verlag Ziegler, Krumbach 2010, S. 113124.
  19. Christoph Konrad: Die Pfarrkirche St. Ulrich. In: Illerzell. Dorf im unteren Illertal. Stadtteil von Vöhringen. Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn 2018, S. 84102.



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